Südnoricum: Eine Siedlungskontinuität ist in den offenen Siedlungsplätzen bislang nicht mit der nötigen Deutlichkeit durch Befundabfolgen zu belegen, allerdings lässt sich aufzeigen, dass Flächen mit Clustern von spätlatènezeitlichen Funden auch als Nutzungsräume römischer Straßen-/Gewerbesiedlungen dienen. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Fundvorkommen in Kalsdorf und Baldersdorf, wo jeweils ein charakteristisches spätkeltisches Fundspektrum aus dem Areal der römischen Siedlung vorliegt. In Hörbing sind sowohl spätkeltische als auch frührömische Befunde belegt, eine detaillierte Analyse steht aber noch aus. |
Kalsdorf |
In den Zentralorten von Südnoricum, bei denen es sich in der keltischen Zeit durchwegs um Ansiedlungen auf Bergen handelt, ist eine Kontinuität von der keltischen zur römischen Zeit in sehr unterschiedlicher Form festzustellen: Ein Abbruch der Siedlungsentwicklung wird für die Höhensiedlung der Gracarca am Ende der Eisenzeit angenommen, die jüngste Baustruktur, in Mörtelbautechnik errichtet, datiert in augusteische Zeit. Offenbar eine kontinuierliche Siedlungsentwicklung ist in der auf die Metallaufbereitung bzw. -verarbeitung spezialisierten Siedlung auf der Gurina festzustellen. Die Gesamtstatistik des Fundspektrums belegt zwar keinen Hiat, jedoch rückläufige Tendenzen in der Siedlungsentwicklung ab 50 n. Chr. Die Errichtung eines Umgangstempels auf dem Areal eines ehemaligen Brandopferplatzes lässt auf eine nicht nur aus der wirtschaftlichen, sondern auch aus der kultischen Bedeutung des Orts resultierende Kontinuität schließen. Die Einrichtung des administrativen Zentrums in Teurnia-St. Peter in Holz indiziert gleichwohl einen Bedeutungsverlust des vermutlichen Zentralorts auf der Gurina.
In Zusammenhang mit den Siedlungszäsuren frührömischer Zeit ist das prominenteste
Beispiel sicherlich der Zentralort am Magdalensberg, das alte Virunum, selbst.
Das städtische Siedlungszentrum von Virunum wird um die Mitte des 1. Jhs. n.
Chr. von den Hängen des Magdalensbergs in das Tal transferiert, eine nichtstädtische
Ansiedlung ist gleichwohl in flavischer Zeit und bis in das späte 2. Jh. n.
Chr. auf den Terrassen rund um das Gipfelplateau des Magdalensbergs nachzuweisen.
Die Bedeutung der keltischen Siedlungen auf dem Frauenberg bei Leibnitz unterstreichen
neben den beiden Kultplätze auch die Nachweise der Münzprägung. Das administrative
Zentrum wird spätestens mit der Stadterhebung der Siedlung Solva zum Municipium
unter Vespasianus von der Kuppe des Bergs in das Tal verlagert. Auf dem Frauenberg
ist die Kult- und vermutlich auch eine Siedlungskontinuität von der Spätlatènezeit
bis in die Spätantike belegt.
Siedlungskontinuität
im Bereich von Zentralorten in Südnoricum |
||||
Fundort |
Befund, LT |
Befund, römisch |
Kontinuitätskriterien |
Bedeutungsverlust |
Frauenberg bei Leibnitz |
Heiligtum |
Heiligtum |
Kultkontinuität |
Zentralort (Municipium Flavia Solva) in Ebene verlagert |
Virunum-Magdalensberg |
Römisches Emporium |
Heiligtum |
Kultkontinuität (?) |
Zentralort (Municipium Virunum) in Ebene verlagert |
Gurina |
Händlersiedlung |
Heiligtum |
Kultkontinuität |
Stellung
als Zentralort verloren (?) |
Frauenberg, Kultbauten |
Frauenberg, Kultplätze und Siedlung |
Siedlungskontinuität in Lentia-Linz (nordwestnorische Limesstrecke) |
||||
Fundort |
Befund, LT |
Befund, römisch |
Kontinuitätskriterien |
Bedeutungsverlust |
Lentia-Linz |
Befestigte
Höhensiedlungen beiderseits der Donau Administratives Zentrum (Münzprägung) Offene Siedlungen auf Höhenrücken südlich der Donau |
Lagerhalle
auf Höhenrücken (1. Jh. n. Chr.) Schwellbalkenbauten in Hanglage (1. Jh. n. Chr.) Streifenhäuser in der Ebene (2./3. Jh. n. Chr.) |
Wirtschaftsstrategischer Faktor |
Zentralort
(Municipium Ovilavis) |
Lentia-Linz, Lagerhalle |
Lentia-Linz, frührömische Siedlungsbefunde |
Lentia-Linz, Kastell und Siedlung |
Die Belegung der Standlager ab flavischer Zeit (oder später) bis in die Spätantike ist für alle Kastelle am norischen Donaulimes anzunehmen, das Phänomen einer nach dem Abzug des Militärs weiterbestehenden Kastellsiedlungen ist somit nicht beobachtbar.
Keine Hinweise auf eisenzeitliche Vorgängersiedlungen bzw. Kontinuitäten von der spätkeltischen zur römischen Zeit bestehen in folgenden norischen Straßen-/Gewerbesiedlungen: Gleisdorf, Pichling bei Köflach, Meclaria-Maglern, Immurium-Moosham, Urreiting. Eine Zäsur in der Siedlungsentwicklung bei gleichzeitiger Platzkontinuität kann für die Straßen-/Gewerbesiedlungen von Feldkirchen, Karlstein und Bedaium-Seebruck angenommen werden, eine Verlagerung des Siedlungszentrums und ein möglicher Hiat der Siedlungsentwicklung in Hallstatt. |
Hallstatt, latènezeitliche und römische
Siedlung |
Hallstatt, römische Siedlung |
Straßen-/Gewerbe- und Kastellsiedlungen an den Hauptverkehrsrouten, Nordnoricum: Die Weggabelung zweier Verkehrsrouten von Iuvavum nach Westen sowie von Boiodurum-Passau nach Süden bedingt die Bedeutung von Bedaium-Seebruck. Die Straßenführung von Iuvavum westwärts nach Bedaium-Seebruck ist durch zahlreiche Meilensteine markiert. Die Trasse Iuvavum – Ovilavis ist durch Meilensteinfunde sehr gut nachvollziehbar, an dieser Trasse liegt die Siedlung von Tarnantone-Pfongau. – Die Limesstraße ist in Boiodurum-Passau durch eine an den Streifenparzellen in Richtung Südfront des Kastells vorbeiziehende, west-ost-orientierte Straße mit geschottertem Körper (Höhe 0,3–0,4 m, maximale Breite 6 m) dokumentiert. Eine Parallelstraße zur Limesstraße ist im Abschnitt Linz-Hahnengasse erfassbar (größten Breite 6 m); die auf diese Straße im rechten Winkel zielenden Querstraßen weisen eine Breite von 3 m auf. In Arelape-Pöchlarn ist der Verlauf der Limesstraße durch einen Meilenstein markiert. In der südlichen Kastellsiedlung von Favianis-Mautern liegt ein bis zu 6,5 m breiter, N-S-orientierter Straßenkörper vor. Diese Stichstraße dürfte auf die südlich an Favianis-Mautern vorbeigeführte Nebentrasse der Limesstraße treffen, deren Ost-West-Verlauf durch die Geleisstraße in Mauternbach und den Meilenstein in Hollenburg dokumentiert ist. Die Hauptverkehrsstraße ist in Augustianis-Traismauer Ost-West-orientiert; ein zweiphasiger geschotterter Straßenkörper weist in der ältesten Periode eine maximale Breite von 4 m auf. Der weitere Verlauf der Limesstraße ist durch die Meilensteine von Gemeinlebarn, Comagenis-Tulln und Nitzing gekennzeichnet.
Die Funktion der Siedlungen an den Haupthandelsrouten bzw. bei den Kastellen
als Warenumschlagplätze wird durch die gute Versorgung der Siedler mit Importwaren
verdeutlicht und zeigt sich auch insbesondere in der Tatsache, dass der Importstrom
in den abseits dieser infrastrukturell erschlossenen Gebiete in Noricum deutlich
abnimmt. Der Handel mit regional oder lokal hergestellten Waren wird im Keramiksektor
durch das Graffito auf einer Reibschüssel aus Boiodurum-Passau indiziert, wo
der Kaufpreis des Gefäßes (mortarium) mit einem halben Denar angegeben wird,
darüber hinaus ist beispielsweise im Textilsektor auf die Bleietiketten aus
Immurium-Moosham und Kalsdorf zu verweisen.
Kalsdorf, Platz |
Saaz, Platz |
Eisenverhüttung, Eisen-/Buntmetallverarbeitung: Die Nachweise der Metallverarbeitung sind in den Straßen-/Gewerbe- und Kastellsiedlungen von Noricum durchwegs vorhanden, wobei die Eisenverhüttung bislang in sieben Ansiedlungen anhand entsprechender Schlackenfunde zu belegen ist.
Nordnoricum: Karlstein (Fe), Bedaium-Seebruck (Ae), Lentia-Linz (Ae), Wallsee (Fe), Favianis-Mautern (Fe, Ae), Augustianis-Traismauer (Ae). | ||
Favianis-Mautern, Eisenschmieden |
Favianis-Mautern, Eisenschmieden |
Südnoricum: Pichling bei Köflach (Fe), Kalsdorf (Fe, Ae),
Gleisdorf (Fe, Ae), Saaz (Ae), Frauenberg bei Leibnitz (Ae), Feldkirchen
(Fe), Baldersdorf (Fe), Meclaria-Maglern (Ae), Strassen (Fe), Immurium-Moosham
(Fe, Ae). Die Darstellung eines Bewohners, der anhand berufstypischer Werkzeuge (Treibhammer und Zange) als Schmied charakterisiert ist, lässt sich singulär aus der südnorischen Straßen-/Gewerbesiedlung von Kalsdorf beibringen: Der Kelte Nammonius Mussa besitzt entsprechend der Namensformel ausschließlich peregrines bzw. italisches Recht. |
Baldersdorf |
Kalsdorf |
Beinverarbeitung, Gerberei: Werkstücke belegen die Verarbeitung von Bein in der Kastellsiedlung Lentia-Linz, der Abfall einer Beinschnitzerei, darunter auch eine Beinnadel, werden für die Kastellsiedlung Comagenis-Tulln erwähnt. Die Kombination von Eisenschmiedearbeiten und Beinschnitzerei ist in den Kastellsiedlungen von Wallsee und Favianis-Mautern belegt, die Gerberei in Favianis-Mautern. | ||
Favianis-Mautern, Gerberei |
Favianis-Mautern, Gerberei |
Gefäßkeramikproduktion, Choroplastik: Ausschließlich in fünf norischen Straßen-/Gewerbe bzw. Kastellsiedlungen ist bislang die lokale Produktion von Gefäßkeramik zu belegen, wobei für Gleisdorf in Südnoricum und Favianis-Mautern in Nordnoricum eine Herstellung in mehreren Werkstatteinheiten festzustellen ist. In Gleisdorf und Favianis-Mautern ist auch jeweils die auf römischen Vorbildern fußende Choroplastik anhand indirekter Nachweise (Model) zu belegen, wohingegen die Baukeramikproduktion bislang in keiner Siedlung nachzuweisen ist. | |||
Favianis-Mautern, Keramikbrennöfen,
2.-5. Jh. n. Chr. |
Favianis-Mautern, zwei Töpfereien, 2. Jh. n. Chr. |
Favianis-Mautern, zwei Töpfereien, 2. Jh. n. Chr.
|
Gleisdorf, Glasofen |
Gleisdorf, Lage des Glasofens |
Glasproduktion: Die Herstellung von Glas ist ausschließlich für die südostnorische Straßen-/Gewerbesiedlungen von Gleisdorf gesichert, wo in dem partiell dokumentierten Befund einer Glasmacherwerkstätte zwar der Kühl-, jedoch nicht der Schmelzofen dokumentiert ist. Zahlreiche im Umkreis dieser Struktur vorgefundene Glastropfen lassen gleichwohl auf die angesprochene Funktion schließen. |
Textilproduktion: Die Herstellung von Textilien ist in Noricum von überregionaler Bedeutung. Indirekte Nachweise der Textilherstellung sind durch Webgewichte (Saaz, Feldkirchen, Lentia-Linz, Augustianis-Traismauer, Favianis-Mautern) und andere Geräte der Textilproduktion wie beispielsweise Spindeln durchwegs zu verzeichnen. In Lentia-Linz finden sich in einem nach der Mitte des 2. Jhs. n. Chr. zu datierenden Niveau die Holzreste eines Webstuhls gemeinsam mit zwölf Tongewichten. Einen außergewöhnlichen Fundkomplex liefert in Hinblick auf die Woll- und Stoffverarbeitung das Depot mit beschrifteten Bleietiketten aus Kalsdorf. Ein vergleichbarer Einzelfund liegt zudem aus Immurium-Moosham vor. |
Bedaium-Seebruck, Darre |
Bedaium-Seebruck, Lage der Darre |
Favianis-Mautern, Bäckerei |
Favianis-Mautern, Lage der Bäckerei |
In den offenen Siedlungen keltischer Zeit stehen vereinzelte Nachweise von Metallverarbeitung (Neubau, Hasreith) und Keramikproduktion (Herzogenburg) den Belegen der landwirtschaftlichen Produktion (Neubau) und der Textilverarbeitung (Hellbrunn, Puch bei Hallein, Neubau, Herzogenburg) gegenüber. In den römischen Straßen-/Gewerbe- bzw. Kastellsiedlungen von Noricum ist eine deutliche Verdichtung der Nachweise dieser genannten Produktionsformen festzustellen, wobei das Metallhandwerk eine besondere Rolle spielt. Des Weiteren ist in Einzelfällen eine Spezialisierung auf das Töpferhandwerk mit der Einrichtung von mehreren gleichzeitig arbeitenden Betrieben an einem Standort belegt, so in der Kastellsiedlung Favianis-Mautern und in der zivilen Siedlung von Gleisdorf. An neuen durch die Römer vermittelten Techniken ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Choroplastik, also die Herstellung von Lampen und Terrakotten, nachzuweisen. Des Weiteren ist die Imitation von Fernhandelswaren im Gefäßkeramiksektor bedeutsam. – Hinsichtlich der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln ist eine Steigerung der Produktionsmengen festzustellen, verdeutlicht durch die Aufbereitung der Ernte in festen Installationen wie Darren und die Verarbeitung in Großküchen und Bäckereien. |
Saaz, einzeilige Straßensiedlung mit Platz |
Favianis-Mautern, Kastellsiedlung |
In der Regel handelt es sich bei den zivilen Siedlungen
um einzeilige Straßensiedlungen, die Gebäude sind beiderseits einer
Hauptstraße gruppiert. Da in manchen Fällen auch eine Nutzung der Hänge
zu beobachten ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese durch Terrassen
erschlossenen Siedlungsteile über Steige zu erreichen waren. Mehrzeilige
Straßensiedlungen sind bislang ausschließlich in den Kastellsiedlungen
am Limes belegt, wo eine Erschließung der Areale durch Streifenparzellen
zu erfassen ist. In zwei Straßensiedlungen ist ein zentraler öffentlicher
Raum durch einen Platz markiert. |
Markthalle: Der einzige Nachweis einer Markthalle (Macellum) liegt in der Straßensiedlung Sebatum-San Lorenzo di Sebato in Südwestnoricum vor. |
Bäder: Eine öffentliche Badeanlage ist in der an der Tauernroute gelegenen Straßensiedlung Immurium-Moosham belegt. Die in den Kastellsiedlungen von Boiodurum-Passau und Ioviacum-Schlögen festgestellten Bäder dürften durch das Militär genutzt worden sein. |
Amphitheater: Die Veranstaltung von Spielen ist für die regionale Bedeutung einer Siedlung bezeichnend. So geben etwa die Tonmasken von Favianis-Mautern einen Hinweis auf theatralische oder kultische Inszenierungen und das Amphitheater von Gleisdorf lässt als einziges öffentliches Gebäude mit monumentalen Ausmaßen in einer norischen Straßen-/Gewerbesiedlung auf die zentralörtliche Stellung der Siedlung schließen. |
Tempel: Öffentliche
Kultbezirke mit Altären oder Tempeln sind in den norischen Siedlungen
zumeist nur dann festzustellen, wenn eine Platzkontinuität und zugleich
wohl auch eine Kultkontinuität festzustellen ist. Die Kultkontinuität
ist für den Frauenberg bei Leibnitz gesichert, für Plätze wie den Gipfel
des Magdalensbergs wird diese diskutiert. Am prominentesten ist in diesem
Zusammenhang sicherlich der Befund am Frauenberg bei Leibnitz, wo sich
hoch über dem Leibnitzer Feld und somit über dem Municipium Flavia Solva
Siedlungsareale um den auf einer der höchsten Kuppen des Bergs befindlichen
Tempelbezirk erstrecken. In der römischen Zeit werden hier die Kulte für
Isis und Mars postuliert. Auf der Gurina ist die Verehrung des Herkules
anhand mehrerer Statuetten nachzuweisen, ein Umgangstempel liegt auf dem
höchsten Punkt der Siedlung. Die Nachgrabungen im Umgangstempel der Gurina
lassen darauf schließen, dass ein Kultplatzkontinuität von der Eisenzeit
bis in die römische Zeit erwägbar ist. Ein Tempelbezirk mit Umgangstempel
und Weihungen an Iupiter optimus maximus und Mars Augustus befindet sich
in der Siedlung Colatio-Stari trg. |
||
In den Siedlungen Gleisdorf, Kalsdorf, Saaz, Frauenberg bei Leibnitz und Colatio-Stari trg, alle Südostnoricum, sind als typische Strukturen Ein- bzw. Mehrraumhäuser zu erfassen, die entlang einer Straße errichtet sind, fallweise in rechteckigen, umfriedeten Hofarealen. Als ältester bislang publizierter schlüssiger Beleg ist das Einraumhaus flavischer Zeit von Saaz, ein quadratischer Ständerbau, beizubringen. Der Ausbau in Holz-Fachwerk ist in Saaz für die hadrianische Zeit dokumentiert, in Gleisdorf wird bislang ein Wechsel von der Holz- zur Holz-Steinarchitektur um die Mitte des 2. Jhs. n. Chr. postuliert. Zudem ist in manchen Fällen eine Erweiterung des ursprünglichen Kernraums durch nachträgliche Ein- und Anbauten, also der Ausbau zu einem Mehrraumhaus, zu erfassen. Die Einraumhäuser weisen in Gleisdorf eine maximale Größe von 52 m² (7 × 7,5 m) auf, das Mehrraumhaus 85 m² (9 × 9,5 m) in einem 363 m² (16,5 × 22 m) großen umfriedeten Areal.
Gleisdorf |
Kalsdorf |
Saaz |
Frauenberg |
Colatio-Stari trg |
In Nordwestnoricum ist nur eine zivile Straßen-/Gewerbesiedlung mit Ein-/Mehrraumhäusern festzustellen, in welchem bislang offenbar keine anderen Hausformen vorliegen: In Tarnatone-Pfongau ist neben einem hypokaustierten Einraumhaus von mindestens 29 m² (8 × min. 3,6 m) ein Mehrraumhaus mit einem hypokaustierten Kernraum und zwei weiteren Räumen sowie einem Umgang mit insgesamt 259 m² (18,5 × 14 m) dokumentiert. Ein weiteres Mehrraumhaus mit Windfang misst 85 m² (9 × 9,5 m). Die Datierung der Gebäude wird ab dem 2. Jh. n. Chr. angenommen.
Nur in Westnoricum sind bislang zivile Straßen-/Gewerbesiedlungen belegt, in welchen ein zeitgleiches Nebeneinander unterschiedlicher Bebauungsmuster in Rechteck- und Streifenparzellen zu erfassen ist. In Immurium-Moosham und Bedaium-Seebruck sind zum einen Einraumhäuser bzw. Mehrraumhäuser in rechteckigen, umfriedeten Hofarealen, wie sie auch in Südostnoricum gängig sind, festzustellen, zum anderen streifenförmige Parzellen mit Komplexbauten bzw. Streifenhäusern, wie sie in den Kastellsiedlungen der Limesregion auftreten. |
In Immurium-Moosham kann im Ostabschnitt der
bislang untersuchten Siedlungsbefunde ein Areal mit Mehrraumhäusern in
rechteckig umfriedeten Höfen, mit Einraumhäusern und mit Badegebäude von
einer anders strukturierten Nutzung im Westabschnitt mit zwei offenbar
in eine streifenförmige Parzellierung eingepassten Wohn-/Werkhäuser und
einer Mansio unterschieden werden. Die beiden Mehrraumhäuser (Häuser C
und F) weisen einen hypokaustierten Kernraum auf, welcher an drei Seiten
von vier bis fünf Wohn- und Arbeitsräumen flankiert wird. Die Innenmaße
dieses (in Haus C partiell) hypokaustierten Raums betragen maximal 30
m² (5 × 6 m), die Gesamtfläche der Gebäude mit großen umfriedeten Hofarealen
beläuft sich auf bis zu 504 m². Die Funktion der Häuser als kombinierte
Wohn- und Werkareale ist anhand typischer Funde aus der Metallverarbeitung
zum einen sowie repräsentativer Ausgestaltung der Wohnräume mit polychromer
Wandmalerei und Stuck zum anderen nachvollziehbar. |
||
Immurium-Moosham, Mehrraumhaus C |
||
Die Einraumhäuser (Häuser E und G) von Immurium-Moosham
messen maximal 60 m² (8 × 7,45 m) und sind in einem Fall (Haus E) mit
einem Windfang ausgestattet. Sowohl Mehr- als auch Einraumhäuser weisen
Fundament- bzw. Sockelmauern auf, das Aufgehende dürfte anhand der Rutenputzreste
in den Mehrraumhäusern C und F in einer Holz-Fachwerk-Konstruktion zu
rekonstruieren sein. Die Errichtung der Mehrraumhäuser wird in claudischer
Zeit, jene der Einraumhäuser in claudischer bis flavischer Zeit angesetzt;
die Siedlung hatte mit diesen Baustrukturen bis in die erste Hälfte des
3. Jhs. n. Chr. Bestand. Für zwei der Gebäude (Häuser A und B) von Immurium-Moosham könnte eine Rekonstruktion als Streifenhäuser anzunehmen sein, zumal die in einen annähernd quadratischen Grundriß eingeschriebenen Wohn- und Werkräume im straßenabgewandten Areal jeweils eine vorgelagerte Freifläche aufweisen, wobei dieser Hof in einem Fall durch einen Tabernenbau (?) abgeschlossen wird. Die Grundfläche der Wohn- und Werkräume beträgt in Haus B 220 m² (12,2 × 18 m), die Gesamtfläche der Parzelle maximal 489 m² (33,3 × 12,2–14,7 m). Die erhaltenen Fundamente sind in Stein ausgeführt. Die Errichtung dieser Gebäude wird in claudischer bis flavischer Zeit angesetzt. |
||
Immurium-Moosham, Einraumhaus E |
Immurium-Moosham, Streifenhaus B |
|
Eine andere Form der Mischbebauung ist in Karlstein, gleichfalls Westnoricum, festzustellen, wo neben den üblichen Ein- und Mehrraumhäusern ein Korridorhaus vorliegt. Die Größe der Einraumhäuser beträgt maximal 28 m² (4 × 7 m); das Mehrraumhaus weist einen rechteckigen, hypokaustierten Kernraum auf, um den sich an drei Seiten ein großflächiger Raum mit Einbau gruppiert. Das Korridorhaus von Karlstein ist ein mit mehreren, teils hypokaustierten, um einen Gang gruppierten Räumen ausgestattetes Haus; die Gesamtfläche beläuft sich auf 244 m² (19 × 12,85 m). |
In Noricum ist ausschließlich in den Kastellsiedlungen eine das gesamte Siedlungsgebiet
erfassende streifenfömige Parzellierung zu dokumentieren; großflächige Befunde
liegen aus Boiodurum-Passau, Lentia-Linz, Favianis-Mautern und Augustianis-Traismauer
vor, ein Streifenhaus ist darüber hinaus in Comagenis-Tulln belegt. Die regelhafte
Verbauung dieser Parzellen mit Streifenhäusern, welche straßenseitig einen Keller
aufweisen, ist entsprechend dem bisherigen Forschungsstand ausschließlich für
einen Befund in Lentia-Linz (Hahnengasse) festzustellen, in allen anderen norischen
Kastellsiedlungen lässt sich eine bedarfsorientierte Nutzung mit unterschiedlichen
Strukturen belegen. Am deutlichsten zeigt sich diese heterogene Bebauung bei
der Betrachtung der Kellerbefunde, welche in der Mehrzahl der norischen Kastellsiedlungen
ausschließlich in geringer Dichte (Boiodurum-Passau, Wallsee, Favianis-Mautern,
Augustianis-Traismauer) vorkommen und keinen normierten Bestandteil der Bebauung
darstellen.
Lentia-Linz, Streifenhäuser in Kastellsiedlung |
Lentia-Linz, Lage der Kastellsiedlung |
Streifenförmige Verbauung, mit/ohne Keller: Tatsächlich um Streifenhäuser in Holz-Fachwerk-Konstruktion mit Kellereinbauten handelt es sich bei den Befunden in Linz (Hahnengasse), deren erste Brandzerstörung um die Mitte des 2. Jhs. n. Chr. datiert. Eine weitere Zerstörung ist in der zweiten Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. anzunehmen. Die Parzellenbreite ist mit mindestens 12,4 m anzunehmen, die tatsächliche Parzellenlänge und die Raumaufteilung ist aufgrund des in wenigen Schnitten dokumentierten Befunds im Detail nicht rekonstruierbar; der Ausgräber nimmt eine Gesamtlänge von 38,2 m an, die Gesamtfläche der Parzelle würde demnach rund 474 m² betragen. In drei Streifenparzellen ist die Einrichtung straßenseitiger Keller in Stein zu erfassen. Für einen Steinkeller ist die Gesamtgröße, 22 m² (4,64 × 4,8 m), sowie die Ausstattung mit gemauerter Treppe und einem nach außen trichterförmig erweiterten Lichtschacht aufzuzeigen. |
Streifenparzellen mit Mehrraumhäusern, Streifenhäusern, Grubenhütten: In Favianis-Mautern sind Parzellen mit Streifenhäusern sowie straßenseitigen bzw. mittig im Grundstück gelegenen Kellern in allen Regionen der Kastellsiedlung verstreut festzustellen. Eine regelhafte Verbauung mit solchen Strukturen ist allerdings nicht belegt, zumal zeitgleich mit diesen weite Siedlungsareale mit einfachen Grubenhütten verbaut sind. In der ältesten (flavischen) Siedlungsperiode ist die Bebauung der rund 400 m² (10 × 40 m) großen Streifenparzellen mit Mehrraumhäusern nachzuweisen, die Streifenhäuser dürften demnach jünger datieren. Keller als Bestandteil der Streifenverbauung sind nur vereinzelt belegt, wobei zwei in Stein errichtete Keller Wandnischen aufweisen. Von diesen ist einer integrativer Bestandteil eines in seiner Gesamtlänge bei Altgrabungen untersuchten Streifenhauses, dessen Brandzerstörung um die Mitte des 3. Jhs. n. Chr. anzunehmen ist. Dieses in der älteren Forschung irrigerweise als „Villa von Mautern“ bezeichnete Gebäude misst 575 m² (50,9 × 11,3 m), der mittig in der Parzelle angelegte Keller 15 m² (2,7 × 5,8 m).
Favianis-Mautern, Mehrraumhäuser |
Favianis-Mautern, Mehrraumhäuser |
Favianis-Mautern, Keller in Streifenhaus |
Als Besonderheit der östlichen Kastellsiedlungen von Noricum (Favianis-Mautern, Zwentendorf, Comagenis-Tulln) sind rechteckige Grubenhütten anzuführen, deren Anlage in den Streifenparzellen in ein- oder zumeist mehrfacher Ausführung die Strukturierung der Parzellen in Wohn- und Arbeitsbereiche belegen. Grubenhütten sind als traditionelle Bauformen in den Schwemmland- und Lößgebieten des Alpenvorlands während der Spätlatènezeit nachzuweisen und treten auch im nordostnorischen Limeshinterland (Unterradlberg) auf. In der Kastellsiedlung Favianis-Mautern sind Grubenhütten ab der ältesten Bauperiode des späten 1. Jhs. n. Chr. belegt, wobei gleichwohl der Höhepunkt der Vorkommen im 2. und frühen 3. Jh. n. Chr. liegt und festgestellt werden kann, dass die komplexe Bebauung mit Mehrraumhäusern der ältesten Siedlungsperiode im Verlauf der jüngeren mittelkaiserzeitlichen Belegung in vielen Fällen durch Grubenhütten abgelöst wird. Die durchschnittliche Größe der Hütten liegt bei 8–10 m² (3,4 × 2,8 m), die Dachkonstruktion ruht in den meisten Fällen auf einer Zweipfostenkonstruktion.
Favianis-Mautern, Grubenhütte |
Favianis-Mautern, Grubenhütten in Streifenparzellen |
Favianis-Mautern, Grubenhütten |
Die einfachste und zugleich verbreitetste, aus der eisenzeitlichen Tradition herzuleitende Bauform ist das Einraumhaus. Durch Anbauten zu einem Mehrraumhaus erweitert und durch Ausstattung nach römischem Vorbild (Fußbodenheizung, Wandmalerei, Stuck) bereichert weist das übliche norische Haus in Südost- und in Westnoricum diesen quadratischen bis rechteckigen Kernraum als signifikanten Bestandteil auf.
Auf eisenzeitlichen Traditionen fußt die Errichtung von Grubenhütten in den nordostnorischen Kastellsiedlungen. In Favianis-Mautern werden diese Hütten in ein nach römischem Maßstab parzelliertes Gelände eingepasst.
Streifenhäuser, häufig mit Keller ausgestattet, sind als Neuerung römischer
Zeit in den Kastellsiedlungen festzustellen. Streifenförmige Verbauung ist darüber
hinaus im westnorischen Hinterland belegt, wobei diese vereinzelten Vorkommen
Affinität zu den ländlichen Langbauten (cottage houses) aufweisen.
Die Ausstattung der Häuser in den Straßen- und Gewerbesiedlungen ist zumeist sehr einfach. Lehmböden sind üblich, seltener liegen auch Mörtelestriche vor. Ausschließlich in der Straßensiedlung Immurium-Moosham sind in zwei Wohnhäusern Mosaikböden anzunehmen. Die Beheizung erfolgte mit tragbaren Öfen oder durch bodenebene Feuerstellen, die Nachweise von hypokaustierten Räumen mehren sich im 3. Jh. n. Chr. In der inneralpinen Siedlung Immurium-Moosham sind die Mehrraumhäuser durchwegs mit einem hypokaustierten Kernraum ausgestattet, das Bestehen dieses Heizsystems bereits im 1./2. Jh. n. Chr. kann ebenda aber nur vermutet werden. Interessant erscheint der Befund eines in den Lehm eingegrabenen und offenbar mit einem Holzboden überdeckten Heizkanals im Mehrraumhaus von Saaz. Diese Konstruktion lässt auf die Adaption der Unterflurbeheizung im 2. Jh. n. Chr. mit einfachsten Mitteln schließen. Luxusausstattung wie Mosaikböden oder florale Wandmalerei sind keineswegs gängige Phänomene. Ein besonders repräsentativ ausgestattetes Privatgebäude liegt in der Straßensiedlung Immurium-Moosham vor. |
Immurium-Moosham, Wandmalerei |
|
Anhand moderner Befundanalysen ist als generelles Phänomen in der Entwicklung der Siedlungen von Südostnoricum und am Limes zu beobachten, daß die reine Holzbauarchitektur im Verlauf des 2. Jhs. n. Chr. in der Mehrzahl der Fälle durch eine zumeist kombinierte Stein-Holz-Bauweise, seltener durch reine Steinarchitektur ersetzt wird. Für diesen technologischen Wandel sind als archäologisch gut befundete Beispiele die Gebäude in Kalsdorf, Gleisdorf und Saaz heranziehen, in den Kastellsiedlungen jene in Lentia-Linz, Favianis-Mautern und Comagenis-Tulln. Die stetige Erweiterung der Nutzflächen eines Hauses und die Hinzufügung von Fußbodenheizungen als jüngste Baumaßnahme lassen sich sowohl in Südostnoricum (Saaz) als auch in Nordwestnoricum (Bedaium-Seebruck) als kontinuierliche Fort- und Weiterentwicklung während des 1. bis späten 2./frühen 3. Jhs. n. Chr. festhalten.
Saaz, einräumige Holzhütte |
Saaz, Mehrraumhaus |
Saaz, Mehrraumhaus |
Bedaium-Seebruck, |
Favianis-Mautern, Mehrraumhäuser in Streifenparzellen |
Favianis-Mautern, Mehrraumhäuser in Streifenparzellen |
Favianis-Mautern, Grubenhütten in Streifenparzellen |
Favianis-Mautern, Grubenhütten in Streifenparzellen
|
In der Kastellsiedlung Favianis-Mautern ist festzustellen, dass die Veränderungen
der Bauweisen keiner linearen Entwicklung entsprechen müssen. Hier ist erstmals
zu belegen, dass die komplexen Mehrraumhäuser in Streifenparzellen des späten
1. Jhs. n. Chr. von einfachen in den vorgegebenen Streifenparzellen errichteten
Grubenhütten im frühen 2. Jh. n. Chr. abgelöst werden.
Transformation der Bauformen |
||
Fundort |
LT-Tradition |
Transformation |
Kalsdorf, Gleisdorf |
Einraumhaus |
Mehrraumhaus |
Immurium-Moosham |
Einraumhaus |
Mehrraumhaus, Fußbodenheizung, |
Bedaium-Seebruck, Saaz |
Einraumhaus |
Mehrraumhaus, Fußbodenheizung |
Favianis-Mautern |
Grubenhütte |
Grubenhütten in Streifenparzellen |
--- |
Streifenhäuser, Keller |
|
Commagenis-Tulln |
--- |
Streifenhäuser, Wandmalerei |
Öffentliche
Kultbezirke mit Altären oder Tempeln sind in den norischen Vici zumeist nur dann festzustellen, wenn
eine Platzkontinuität und zugleich wohl auch eine Kultkontinuität festzustellen ist. Die Kultkontinuität ist für den Frauenberg bei Leibnitz gesichert, für Plätze wie den Gipfel des Magdalensbergs wird diese diskutiert. Am prominentesten
ist in diesem Zusammenhang sicherlich der Befund am Frauenberg bei Leibnitz,
wo sich hoch über dem Leibnitzer Feld und somit über dem Municipium Flavia Solva ausgedehnte Siedlungsareale um den auf einer
der höchsten Kuppen des Bergs errichteten Tempelbezirk erstrecken. In der römischen Zeit werden hier die Kulte für Isis und Mars postuliert. Auf der Gurina ist die Verehrung des Herkules anhand
mehrerer Statuetten nachzuweisen, ein Umgangstempel liegt auf dem höchsten Punkt der Siedlung. Die Nachgrabungen im Umgangstempel der Gurina lassen
darauf schließen, dass ein Kultplatzkontinuität von der Eisenzeit bis in die römische Zeit erwägbar ist. Ein Tempelbezirk mit Umgangstempel und Weihungen an Iupiter optimus
maximus und Mars Augustus befindet sich im Vicus von Colatio-Stari trg. Ein
Heiligtum des Bedaius ist in Bedaium-Seebruck aufgrund mehrerer Weiheinschriften
für diese lokale Gottheit angezeigt.
Unabhängig von alten Traditionen erfolgt die Neuerrichtung eines Mithrasheiligtums in Immurium-Moosham zu Beginn des 3. Jhs. n. Chr.
Private Kultpraktiken sind anhand der Funde kleiner Altäre, Statuetten und Kultgefäße als übliche Phänomene in den Siedlungen erfassbar. Betrachtet man die aus Grabungsbefunden bekannten Belege, lassen sich Kulthandlungen für folgende Gottheiten verifizieren: Epona (Gleisdorf), Jupiter Dolichenus (Feldkirchen), Iuno und Merkur (Bedaium-Seebruck). Orientalischen Kulten ist eventuell der Gebrauch von Schlangen- bzw. Eidechsengefäßen zuzuschreiben (Favianis-Mautern).
Der epigraphische Nachweis von Kultgemeinschaften ist für Favianis-Mautern namhaft zu machen, wo Collegia Herculis et Dianae belegt sind.
Zusammenfassend ist vorrangig festzustellen, dass der Forschungsstand zu den Straßen-/Gewerbe- und Kastellsiedlungen in Noricum aufgrund der Quellenlage regional sehr unterschiedlich ist. Die Kastellsiedlungen sind vergleichsweise gut erforscht. Für alle Standorte von Auxiliarkastellen des norischen Donaulimes liegen, mit Ausnahme von Mauer bei Amstetten, Informationen zu den Kastellsiedlungen vor. Die großflächigen, durch Notgrabungen bedingten, archäologischen Untersuchungen in Favianis-Mautern tragen im Verlauf des letzten Jahrzehnts enorm zu einer Erweiterung des Kenntnisstandes der dynamischen Entwicklungen einer Siedlung in der Limesregion bei. Im Hinterland ist die tatsächliche Definition von ausschließlich in Kurzberichten beschriebenen bzw. in zu kleinräumigen Ausschnitten dokumentierten Siedlungsbefunden schwierig, da eine definitive Interpretation derselben als Teile von Straßen-/Gewerbesiedlungen (vici), Straßenstationen (mansiones) oder Gutshöfen meist unmöglich ist. Gleichförmige Orientierung der Strukturen als Hinweis auf den Bezug der Bauten zu einem vorbeiführenden Straßenkörper wie auch kleinräumige Wirtschaftseinheiten mit Parzellen- bzw. Grundstücksgrößen bis 500/600 m² werden als Definitionskriterien bei der Ansprache von Siedlungsplätzen als Straßen- bzw. Gewerbesiedlungen berücksichtigt.
In Noricum ist die Siedlungskontinuität von der keltischen zur römischen Zeit
ein seltenes Phänomen und lässt sich im Einzelfall zumeist aufgrund einer
bestehenden
Kultkontinuität (z.B. Heiligtümer am Frauenberg bei Leibnitz) oder einer wirtschaftlichen
Notwendigkeit (z.B. Warenumschlagplätze auf der Gurina und in Lentia-Linz)
erklären.
Im seltenen Fall, dass keltische Siedlungen wie der Frauenberg bei Leibnitz
oder Lentia-Linz in römischer Zeit ohne Hiat weiterbestehen, verlieren diese
Plätze viel von ihrer zentralörtlichen Bedeutung und es kommt zu neuen Zentrumsbildungen
im Umland (z.B. Flavia Solva-Wagna und Ovilavis-Wels). Eine Landerschließung,
die von
in ihrer Größe entsprechenden Einzugsgebieten auch der Straßen- bzw. Gewerbesiedlungen
ausgeht, könnte aufgrund der Befunde in Südwest- und Südostnoricum vermutet
werden, zumal die Distanzen zwischen den Ansiedlungen vergleichbar sind.
Wegstrecken zwischen Siedlungsplätzen
|
||
Südwestnoricum |
Strassen – Sebatum-San Lorenzo di Sebato |
45 km – 30 Meilen |
Gurina – Meclaria-Maglern |
46 km – 31 Meilen |
|
Gurina – Iulium Carnicum-Zuglio, mit Passüberquerung |
36 km – 24 Meilen |
|
Teurnia – Immurium-Moosham, mit Passüberquerung |
42 km – 28 Meilen |
|
Südostnoricum |
Pichling – Kalsdorf |
33 km – 22 Meilen |
Hörbing – Solva |
32 km – 21 Meilen |
|
Gleisdorf – Kalsdorf |
28 km – 18 Meilen |
|
Gleisdorf – Saaz |
22 km – 14 Meilen |
Die Ansprache solcher Einzugsgebiete als pagi könnte die Inschrift von St. Margarethen im Lavanttal indizieren, die als einzige Quelle in Noricum eine Verwaltungseinheit unabhängig von der munizipalen nennt. Gleichwohl ist festzustellen, dass bislang aus keiner der norischen Straßen- bzw. Gewerbesiedlungen der Nachweis einer eigenständigen Verwaltung vorliegt.
Anders als in der keltischen Gesellschaft ist es in der römischen möglich, dass das Metallhandwerk außerhalb der Zentralorte in hohem Maß betrieben wird. Die Eisenverhüttung bzw. das Eisenschmieden ist in den Straßen- bzw. Gewerbesiedlungen aller Landesteile von Noricum nachzuweisen, die Verarbeitung von Buntmetall ist mit besonderer Häufigkeit im Alpenvorland bis zum Donaulimes sowie im südostnorischen Hügelland belegt. Die Nähe zu den Lagerstätten der Bodenschätze ist ausschlaggebend für die Siedlungsgründungen in den abseits der Hauptverkehrsrouten gelegenen Ortschaften (z.B. Pichling bei Köflach).
Anders als in der keltischen Gesellschaft, wo die Zentralorte zugleich militärische und wirtschaftliche wie auch kulturelle und kultische Zentren repräsentieren, sind die römischen Kastellsiedlungen auf ihre Grundfunktion als Versorgungszentren des militärischen Stützpunkts beschränkt. Die archäologisch nachgewiesenen handwerklichen Tätigkeiten reichen beispielsweise in Favianis-Mautern von der Eisen- und Buntmetallverarbeitung samt Beinschnitzerei zur Lederverarbeitung, Textilproduktion und Töpferei. Darüber hinaus ist für die Kastellsiedlungen eine in Noricum ansonsten den Gutshöfen sowie den Straßen- bzw. Gewerbesiedlungen des nordwestnorischen Hinterlands (Bedaium-Seebruck, Karlstein) vorbehaltene Funktion eigen, nämlich die in großem Maßstab betriebene Aufbereitung von Lebensmitteln. Die Funktion als Warenumschlagplätze ist anhand der Importstatistik von mediterranen und weströmischen Gütern sowie anhand von Baubefunden (Lagerhalle in Lentia-Linz) zu belegen.
Die Traditionsverbundenheit der Bewohner zeigt sich am deutlichsten in den gewählten Bauformen. Einraumhäuser, hergeleitet von einfachen keltischen Ständerbauten, sind in den Straßen- bzw. Gewerbesiedlungen des 1. und 2. Jhs. n. Chr. eine übliche Bauform, darüber hinaus sind Mehrraumhäuser häufig als Weiterentwicklung der Einraumhäuser zu verstehen. Große umhegte Hofareale rechteckiger Form sind als übliche Grundstückseinheiten zu erfassen. Die streifenförmige Parzellierung und die an diese Parzelleneinteilung angepasste Bauweise ist ein ausschließlich in den Kastellsiedlungen vorherrschendes Phänomen. Selbst in diesen Kastellsiedlungen ist es allerdings üblich, die Verbauung der Streifenparzellen individuellen Bedürfnissen anzupassen. Streifenhäuser mit geschlossenen Dachlandschaften dürften die Ausnahme bilden, vielmehr ist mit einer Erschließung durch Mehrraumhäuser sowie Grubenhütten zu rechnen. Im Hinterland sind ausschließlich vereinzelte Belege von streifenförmiger Verbauung zu beobachten (Bedaium-Seebruck, Urreiting, Immurium-Moosham), welche zudem kombiniert mit anderen Bauformen zeitgleich auftreten. Die Akzeptanz neuer Bauformen erfolgt bedarfsorientiert und Rohstoff-abhängig, wie sich dies am besten in Hinblick auf die Verteilung der Nachweise von Fußbodenheizungen zeigt, welche nur im inneralpinen Bereich regelhaft auftreten. In wie geringem Maß die Adaption der römischen Bauformen durch die einheimische Bevölkerung erfolgt, ist am besten anhand der Tradition des Einraumhauses zu erfassen. Dieser im 1. und 2. Jh. n. Chr. in den Straßen- bzw. Gewerbesiedlungen insbesondere von Südost- und Westnoricum verbreitete Bautyp wird aufgrund von Neuansiedlungen des späten 3. Jhs. n. Chr. in der Limesregion ein- und weitergeführt, wobei als einzige Veränderung der ursprünglichen Bauform eine Fußbodenheizung ergänzt wird (z. B. Favianis-Mautern).
H. Sedlmayer