Kulttraditionen und Heiligtümer in der Provinz Raetien

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Grundvoraussetzungen religiöser Strukturen in Raetien

Die römische Provinz Raetia umfaßte mit einer Fläche von rund 80000 km2 ein Gebiet, das von der Ostschweiz im Westen bis zur Mündung des Inn im Osten und von der Donau bzw. später der Fränkischen Alb im Norden bis über den Alpenhauptkamm nach Südtirol und ins Tessin im Süden reichte. Topographisch beinhaltete sie damit eines großen Teil des zentralen Alpengebietes, des nördlichen Alpenvorlands und der südlichen Mittelgebirgsausläufer.

Die eigentliche, jedoch selten in voller Länge benutzte Provinzbezeichnung Raetia et Vindelicia kennzeichnet gleichzeitig grob die von den Römern noch während des Alpenfeldzuges im Jahre 15 v.Chr. angetroffene Bevölkerungszusammensetzung. Dabei verbirgt sich hinter der Bezeichnung Raeter wahrscheinlich kein spezieller Stamm, sondern es handelt sich vielmehr um einen Sammelbegriff eventuell gar römischen Ursprungs, der eine Reihe von Kleinstämmen des Zentralalpenraums zwischen dem oberen Inntal, der Piave, dem Lago Maggiore, und dem Bodensee beschreibt. Im Gegensatz dazu stellten die Vindelicer offenbar einen faßbaren Großstamm dar, dessen teils namentlich bekannte Teilstämme in einem Gebiet vom Bodensee ostwärts, entlang des Alpennordrandes siedelten. Über die genaue ethnische Identität herrscht sowohl bei den Raetern als auch den Vindelicern Unklarheit. Während man für erstere auf Grund der gewissen Abgeschiedenheit ihres Siedlungsraumes immerhin von längerfristigen Kulturtraditionen ausgeht, stellen die Vindelicer möglicherweise eine Mischkultur aus restkeltischen und während des 1. Jh. v.Chr. zunehmend eingeflossenen germanischen Elementen dar. Noch zu Beginn des 1. Jh. v.Chr. gehörte das raetische Alpenvorland zum Bereich der spätlatènezeitlichen Oppidazivilisation und damit zum rein keltischen Siedlungsraum. Vermutlich verschiedene Faktoren, darunter aber wohl vor allem der seit dem späten 2. Jh. v.Chr. anhaltende Druck germanischer Stämme aus dem Elberaum, führten jedoch kurz darauf zu einer massiven Abwanderung keltischer Bevölkerungsteile. Archäologisch äußert sich dies in einem fast vollständigen Abbruch der bekannten eisenzeitlichen Siedlungsplätze und Gräberfelder westlich des Inn und östlich von Odenwald und Schwarzwald noch am Vorabend bzw. spätestens zu Beginn des Gallischen Krieges (Stufe Latène D1). In Ermangelung aussagekräftiger, siedlungsarchäologisch relevanter Fundstellen ist über mögliche Bevölkerungsreste oder auch Neusiedler, aus denen sich Teilstämme der von den Römern angetroffenen Vindelicer entwickelt haben könnten, in der Folgezeit so gut wie nichts bekannt. Generell scheint Raetien nördlich der Alpen bis zur römischen Landnahme nur noch sehr dünn besiedelt gewesen zu sein. Dafür könnte etwa auch die in den Jahren zwischen 30 und 60 n.Chr. im ländlichen Raum zwischen München, Kempten und Augsburg greifbar werdende Bevölkerungsgruppe "Heimstetten" sprechen, sofern man in ihr Menschen erblicken möchte, die erst unter römischer Administration in besagtem Raum angesiedelt wurden. Nach langjähriger Forschungsmeinung lassen die Trachtbestandteile und Bestattungssitten dieser bislang fast ausschließlich durch ihre Gräber überlieferten Gruppe eine Herkunft aus den Gebirgstälern nördlich des Alpenhauptkammes vermuten. Alternativ dazu gehen jüngere Überlegungen allerdings inzwischen dahin, daß es sich ebenso gut auch um eine ortsansässige Bevölkerung handeln könnte, die sich in einer extremen Rückbesinnungsphase auf vermeintlich einheimische Traditionen gegenüber der fortschreitenden Romanisierung abzusetzen versuchte. Durch diese Verhaltensänderung würde sie zum genannten Zeitpunkt für die archäologische Forschung erstmals gut faßbar.

Zusammengenommen bleibt letztlich jedoch festzuhalten, daß im Alpenvorland während der frühen Kaiserzeit zumindest mit einer Mischbevölkerung zu rechnen ist, die keltische, germanische, eventuell inneralpine und schließlich auch römische Kultvorstellungen in sich vereinte. Ein Durchlaufen lokaler Kulttraditionen und Kultplätze von der vorrömischen Eisenzeit zur römischen Kaiserzeit dürfte angesichts der Bevölkerungsverschiebungen hier nur in Ausnahmefällen vorgekommen sein. Anders mag sich die Situation im Alpenraum gestaltet haben, wo, wie oben bereits dargelegt, auf Grund der topographischen Verhältnisse wenigstens bis zur römischen Erschließung eine größere Bevölkerungskontinuitäten angenommen werden kann.

 

Einheimische Kultplätze und Kultplatzkontinuitäten

Bei der Masse der Kultplätze der späten vorrömischen Eisenzeit in Raetien scheint es sich um Freiluftanlagen ohne eine nennenswerte bauliche Fassung gehandelt zu haben. Allerdings könnten die im Betrachtungsraum häufig vertretenen sogenannten Viereckschanzen diese Aussage in Bezug auf das Voralpenland etwas relativieren, sollte es sich bei ihnen, entsprechend einer inzwischen zunehmend angezweifelten traditionellen Forschungsauffassung, wider Erwarten doch mehrheitlich um Heiligtümer gehandelt haben. Die Verbreitung dieser von einem rechteckigen Graben- und Palisaden-/Wallverlauf einfaßten Plätze reicht von Frankreich bis Böhmen, mit einem deutlichen Schwergewicht auf dem süddeutschen Raum.

Während einige der in ihnen festgestellten Holzpfostengebäude in ihren Grundrißformen durchaus als mögliche Vorgänger kaiserzeitlicher gallo-römischer Umgangstempel diskutabel sind, spricht das in der Regel sehr geringe und für Kulteinrichtungen uncharakteristische Fundmaterial eher für eine überwiegend profane Nutzung der Anlagen. Die in letzter Zeit zunehmend favorisierte Deutung als ländliche Gehöfte schließt natürlich nicht aus, daß die eine oder andere Schanze auch ein Heiligtum beherbergte. Dies wird durch ähnlich angelegte, nachweisliche Kultbezirke im gallischen Raum bestätigt. Im Gegensatz zu einigen der letzteren konnten bei den rätischen Viereckschanzen bislang allerdings weder Bau- noch Platzkontinuitäten zwischen der Spätlatènezeit und der römischen Kaiserzeit festgestellt werden. Vielmehr scheint die Nutzung der Anlagen überwiegend bereits mit der starken Abwanderung keltischer Bevölkerungsteile am Ende der Stufe Latène D1 zu enden. Hinweise auf einen möglichen Fortbestand einzelner Schanzen über die Jahrhundertmitte hinaus sind selten. Auch unter den Freilichtkultplätzen ohne architektonische Fassung, die sich mit archäologischen Mittel allerdings meist nur schwer fassen lassen, gibt es bislang kaum nachweisbare Kontinuitäten. Eine Ausnahme hiervon bilden lediglich die sogenannten "raetischen Brandopferplätze". Brandopferplätze haben im alpinen bzw. circumalpinen Raum eine bis in die Bronzezeit zurückgehende Tradition. Während die Sitte im Alpenvorland allerdings schon am Ende der Halstattzeit abbrach, bestanden entsprechende Kultplätze im Gebirge offenbar noch bis in die späte Frühlatènezeit fort, ehe sie auch hier zunehmend an Bedeutung verlor. Ein stärkeres Wiederaufleben dieser Opferplatzsitte läßt sich frühesten in der Spätlatènezeit entlang des Alpennordrandes feststellen. Die nachfolgend noch in der Kaiserzeit aufgesuchten oder sogar erst angelegten Plätze liegen meist an topographisch markanten Stellen.

Ihre Nutzungsdauer reicht häufig noch bis ins 3. Jh., in einigen Fällen vielleicht sogar bis ins 4. Jh. n.Chr. Über die genauen Gründe für das erneute Erstarken der Brandopferplatzsitte zu Beginn der römischen Herrschaft gehen die Forschungsmeinungen auseinander. Während die einen hierin einen traditionellen Rückgriff vor allem noch ortsansässiger Bevölkerungsgruppen als Gegenreaktion auf die fortschreitende Romanisierung sehen, vermuten andere eher eine traditionelle Rückbesinnung von Neusiedlern, die unter der römischen Administration aus ihren Stammensgebieten in den Alpen gezielt in den nur noch dünn besiedelten nördlichen Voralpenraum umgesiedelt wurden. So deckt sich dann auch die Verbreitung der Brandopferplätze zum Teil recht gut mit dem durch Grabfunde abgesteckten Siedlungsraum der Gruppe "Heimstetten". Die Kultplätze, die in ihrer Gesamtanlage etwas variieren, zeichnen sich übergreifend durch schwarze Erdschichten und kalzinierte Tierknochen aus. Bei letzteren handelt es bei näherer Betrachtung überwiegend um offenbar streng selektierte Schädel- und Fußknochen, die mehrheitlich von Rindern und Ziegen/Schafen stammen. Zurückgehend auf ursprünglich jägerisch verwurzelte Vorstellungen, sollte die Opferung dieser als "regenerierend" eingestuften Tierteile möglicherweise den Viehbestand sichern helfen. Als ein gut untersuchtes Beispiel eines solchen Opferplatzes kann eine Fundstelle im Forggensee in der Gemeinde Schwangau (Kr. Ostallgäu; Bayern) / D gelten. Der heute im genannten Stausee nördlich von Füssen versunkene Platz lag ursprünglich auf einer nach Südwesten, zur Flußaue des Lech abfallenden Geländestufe zwischen zwei kleinen Bachläufen. Von hier aus bot sich dem Betrachter ein Panoramablick auf die Alpen, während die Stelle ihrerseits von der auf der anderen Lechseite vorbeiführenden Fernstraße, der Via Claudia Augusta, gut zu sehen war. Ob das Kultareal eine über die natürlichen Gegebenheiten hinausgehende Einfriedung, etwa in Form einer Hecke, besaß, ist nicht mehr nachzuweisen.

Das Heiligtum gliederte sich in drei verschiedene Bereiche (Fundstellen 1-3), die sich auf einem von Grasbewuchs befreiten und durch einen Lehmauftrag nivellierten Areal von etwa 40 bis 50 m Länge aneinanderreihten. Im zentralen Bereich (Stelle 2) erhob sich auf einer Fläche von 6 x 4 m ein niedriges altarartiges Podest aus Sand- und Kalksteinplatten. Starke Ascheschichten und kleinteilige, kalzinierte Knochentrümmer in seiner Umgebung deuten darauf hin, daß hier Köpfe und Läufe von Schafen/Ziegen und Rindern geopfert wurden. Das Knochenmaterial unterscheidet sich deutlich von dem, das in den älteren Schichten der Fundstelle 1, dem Bereich westlich des beschrieben Altars zu Tage trat. Zustand und Großteiligkeit der Knochen legen den Schluß nahe, daß hier die Gemeinde die fleischreicheren Teile der Opfertiere im Rahmen eines Kultmahles verzehrte. Der Ostteil derselben Fundstelle und ein weiterer Bereich östliche des Altars (Stelle 3) dienten darüber hinaus zur Deponierung zahlreicher metallener, bis auf Münzen und kleinere Trachtbestandteile meist eiserner Weihegaben. Keramikscherben sind demgegenüber nur relativ wenig vertreten. Die starke Bevorzugung eiserner Gaben, darunter zahlreiche Lanzenspitzen, Werkzeuge, Schildbuckel Messer, Pferdegeschirr-, Wagen- und Gebäudekonstruktionsteile, aber auch Fibeln und Kultgerät, mag mit der Ausbeutung der lokalen Eisenerzlagerstätten zusammenhängen. Selbst die Platzwahl der Kultstätte könnte dadurch beeinflußt gewesen sein, wenn man berücksichtigt, daß einer der beiden wohl schon in der Antike vorhandenen kleinen Bäche stark eisenhaltiges und entsprechend rostrotes Wasser führt. Im weiteren Nutzungsverlauf des Heiligtums wurde schließlich auch im Bereich des Kultmahlplatzes (Stelle 1) ein altarartiger Steinhaufen aufgeschichtet. Im Gegensatz zum fortexistierenden ältern Hauptaltar bestand er aus Schotter, der ursprünglich wohl durch größere Stabilisierungsblöcke zu einem runden Sockel formiert war. Aschenschichten und Hitzespuren an den Steinen belegen auch hier den Unterhalt eines Feuers. Die Deponierung von Metallobjekten verlagerte sich nun in den westlichen Teil der Fundstelle 1 und in gleicher Richtung noch darüber hinaus. Auch im Bereich der Stelle 3, östlich des Hauptaltars, fanden noch weiterhin rituelle Deponierungen statt. Der Schwerpunkt der Niederlegungen reichte dem Fundmaterial zufolge etwa von der späten Latènezeit bis in claudisch-neronische Zeit und schwächte sich danach deutlich ab. Dennoch blieb der Brandopferplatz wohl noch bis in die 1. Hälfte des 3. Jh. n.Chr. weiterhin in Benutzung. Einige kleinere Fundstellen (I-VII), die zeitlich und räumlich mit den Hauptopferplatz zu verbinden sind, konnten ein Stück weiter nördlich und östlich desselben festgestellt werden. Zumindest an einigen scheinen ebenfalls Feuer gebrannt zu haben. Ihre genaue Funktion im Rahmen des Gesamtkultplatzes ist jedoch unklar.

Je nach Erhaltungszustand des Befundes, nach Grabungsausschnitt und schließlich Analysestand potentiellen Knochenmaterials ist es oft schwer Brandopferplätze von zerstörten Gräbern oder sonstigen Fundmaterialniederschlägen zu unterscheiden, zumal charakteristische architektonische Elemente an den Opferplätzen fehlen.

So deuten etwa auf dem Döttenbichel bei Oberammergau (Kr. Garmisch-Partenkirchen; Bayern) / D, wo auf einer Fläche von ca. 180 x 160 m über 700 Metallobjekte sichergestellt wurden, lediglich Spuren von Feuereinwirkung an manchen Spätlatènefunden, einige Hinweise auf mögliche rituelle Zerstörungen, auffällige Objektdrappierungen und ein paar kalzinierte Knochenreste auf einen Brandopferplatz hin. Von dem spätlatène- bis frühkaiserzeitlichen nichtrömischen Material, bestehend aus Trachtbestandteilen, Geräten, Werkzeugen und eventuell auch Lanzenspitzen, setzen sich zahlreiche eindeutig römische Militaria ab (100 Schuhnägel, ein Helmbuschhalter, 3 Dolche, 20 Geschoßspitzen, 3 Geschützbolzen und über 350 Pfeilspitzen). Ausgehend von dem Stempelabdruck der 19. Legion auf einem der Geschützbolzen, lassen sich diese Waffen wohl mit Kampfhandlungen während des römischen Alpenfeldzuges im Jahre 15 v.Chr. in Verbindung bringen. Unklar ist bis heute, ob die Bewaffnungsteile am Döttenbichel nur nachträglich rituell deponiert wurden, oder ob es sich um die Überreste eines vor Ort stattgefundenen Gefechtes handelt. Wie sich ein solches in Verbindung mit einem potentiellen Brandopferplatz erklären ließe, ist sicherlich diskutabel. Sofern man eine durchweg rituelle und jeweils zeitgenössische Deponierung der Metallfunde annehmen möchte, war der Kultplatz von der 1. Hälfte des 1. Jh. v.Chr. (Stufe Latène D1) bis um etwa 50 n.Chr. in Benutzung.

 

Kultplätze und Kultbauten in der Kaiserzeit

Im Gegensatz zu den zuvor behandelten Brandopferplätzen sind Kultbauten mit Kontinuitäten von der vorrömischen Eisenzeit zur römischen Kaiserzeit in Raetien bislang archäologisch nicht faßbar. Kaiserzeitliche Kultbauten sind sowohl in größeren und kleineren Städten (Coloniae, Municipia und Vici) als auch in Verbindung mit ländlichen Gehöften (Villae rusticae und Staßenstationen) oder als Wegeheiligtümer belegt. Abseits gelegene, selbständige Kultbezirke mit mehreren Bauten (darunter u.a. auch Unterkünften) innerhalb einer Temenoseinfriedung fehlen im Betrachtungsgebiet bislang.

In Bezug auf die architektonische Ausführung nehmen die Podiumtempel mediterraner Bauart die höchste Stufe der Heiligtümer ein. Der Grundriß des auf einem steinernen Podium errichteten Baukörpers entspricht, je nach Bemaßung der Cella und der daraus resultierenden Freistellung der Säulen, in der Regel einem Peripteros-, Pseudoperipteros oder Prostylos. Der Zugang erfolgte über eine dem Podium meist vorgelagerte Treppe. Entsprechende Bauten sind in Raetien bisher nur aus den größen Städten Bregenz / Brigantium (Stadt Bregenz; Vorarlberg) / A und Kempten / Cambodunum (Stadt Kempten; Bayern) / D sowie dem Vicus von Lauingen-Faimingen / Phoebiana (Kr. Dillingen a.d. Donau; Bayern) / D bekannt. Für die Provinzhauptstadt Augsburg / Augusta Vindelicum (Stadt Augsburg; Bayern) / D ist mindestens ein weiteres Heiligtum dieser Art zu vermuten, doch steht hier eine eindeutige archäologische Erfassung von Tempellagen im Stadtgebiet noch aus.

Von den genannten Kultstätten ist nur für Lauingen-Faimingen eine einigermaßen sichere Zuordnung an eine bestimmte Gottheit möglich. Der mit größter Wahrscheinlichkeit dem Apollo Grannus geweihte Bezirk liegt nur ein kurzes Stück hinter der Hochuferkante des heute von der Brenz durchflossenen antiken Donau-Flußbetts im Zentralbereich des stadtartigen Vicus. Unmittelbar östlich von ihm wird das Forum vermutet. Er bestand aus einem Pseudoperipteraltempel mit Säulen tuskischer Ordnung. Dieser lag in einem an drei Seiten von Doppelportiken gesäumten Hof, während seine Rückwand in die Front einer einfachen Portikus an der vierten Hofseite eingebunden war. Der mit seiner Schauseite nach Süden, zum Fluß hin orientierte steinerne Kultbau überlagert Reste eines etwa in den 40er Jahren des 2. Jh. n.Chr. errichteten hölzernen Vorgängerbaus innerhalb einer Palisadeneinfriedung. Diesem gesellte sich nach Auflassung der Palisade ein vor der südwestlichen Einfriedungsecke gelegener quadratischer Lehmziegel-/Lehmfachwerkbau auf einem Ziegelestrichfundament bei. Sowohl die Anlage der ursprünglichen Einfriedung und der Bauten als auch die in ihrem Umfeld zahlreich deponierten Funde aus Keramik und Knochen deuten auf einen gallo-römischen Kultbezirk hin. Ob man hier auch schon Apollo Grannus verehrte, ist unklar.

Bereits spätestens um 160 n.Chr. wurde das alte Heiligtum komplett abgebaut, um dem besagten Podiumtempel Platz zu machen. Zwei noch während bzw. nach ihrer Fundamentierung verworfene Bauvarianten, zum einen als Umgangstempel mit dreiseitigem Umgang und zum anderen mit einem in die rückwärtige Portikus integrierten Baukörper, zeigen, daß man sich nach anfänglichen Unschlüssigkeiten letztlich ganz bewußt für die Bauvariante eines fast völlig freistehen römischen Podiumtempels entschied.

Um einen ebensolchen Tempel handelt es auch beim sogenannten "Capitol" in Bregenz. Die vermutet Zuweisung an die capitolinische Trias (Iupiter, Iuno und Minerva) resultiert aus der Form der Cella, die auf Grund der erhaltenen Fundamente möglicherweise dreikammerig zu rekonstruieren ist. Der Bau erhob sich inmitten eines ummauerten Hofes, dessen Zugang durch eine portikusartige Vorhalle von einer der Hauptachsen der Stadt aus erfolgte. Zwischen der Halle und der verhältnismäßig schmalen Freitreppe zum Tempelpodium konnten noch die Fundamente des Hauptaltars festgestellt werden. Eine architektonisch geplante Verbindung zwischen dem Tempelbezirk und dem weiter östlich gelegenen Forum der Stadt, das durch zwei großflächige Wohnbauten von ihm getrennt wird, ist nicht erkennbar. Letzteres beherbergte auf seiner von Portiken umgebenen Platzfläche anscheinend einen weiteren freistehenden Kultbau, über dessen offenbar zweiräumige Architektur angesichts der Erhaltung und archäologischen Erfassung keine näheren Aussagen möglich sind.

Eine direkte Verbindung zwischen Haupttempel und Forum bestand hingegen in Kempten. Bei der ab flavischer Zeit architektonisch neu gestalteten, rechteckigen Platzanlage war ein größerer Tempelbau in Form eines Prostylos am nordwestlichen Ende des Forums derart in die den Platz säumenden Portiken integriert, daß seine vier Frontsäulen in einer Flucht mit denen der Säulenhalle standen. Das Bodenniveau innerhalb des Tempels und der Portiken war gegenüber dem der Platzfläche angehoben, so daß sich auch hier eine leichte Podiumsituation ergab. Betont wurde der Tempel ansonsten lediglich durch seine monumentale Fassade, die die seitlich anbindenden Portiken an Höhe deutlich überragt haben dürfte.

Ein in sein Dimensionen in etwa vergleichbarer Baukörper läßt sich für einen Apsidenraum rekonstruieren, der, in der Fluchtachse leicht versetzt, die dem Tempel gegenüberliegende zweite Schmalseite des Forums domminierte. Es handelt es sich bei ihm wohl entweder um die Curie, d.h. das Tagungshaus des Ordo decurionum, des Stadtrates vom Kempten, oder um ein Augusteum. Unter letzterem versteht man den Versammlungsbau der Augustalen, die über die Pflege des Kaiserkultes wachten. Sowohl diesem als auch der Verehrung der capitolinischen Trias könnte der Forumtempel gedient haben. Weit unklarer ist demgegenüber die Funktion eines möglicherweise weiteren kleinen Podiumtempels, der mit einer gegenüber dem Forumtempel nach Südwesten abweichenden Frontausrichtung und ohne Temenoseinfriedung auf dem offenbar freien Feld zwischen dem Forum und der nicht weit entfernten südlichen Vorstadt von Cambodunum angetroffen wurde.

Mit größter Wahrscheinlichkeit für den Kaiserkult war hingegen der große heilige Bezirk bestimmt, der sich unmittelbar östlich an das Kemptener Forum anschloß. Im Zentrum einer rechteckig ummauerten Freifläche von 238,1 m auf 178,95 m (4,26 ha) erhob sich hier ein monumentaler Altar mit Freitreppe, von dem noch die Fundamentplatte festgestellt werden konnte. Der Decumanus, d.h. eine der beiden Hauptstraßenachsen Stadt, war direkt auf diesen Altar ausgerichtet. In der ursprünglichen städtebaulichen Konzeption führte er am älteren Forum vorbei auf den Haupteingang des heiligen Bezirkes zu. Durch diesen gelangte man zunächst in einen ebenfalls ummauerten, rechteckigen Vorhof, ehe sich in der Fortsetzung der gleichen Flucht der Zugang zum Hauptbezirk und der Blick auf den Altar öffnete.

Ab flavischer Zeit wurde das östliche Ende des Decumanus schließlich vom neuen Forum überlagert. Durch ein monumentales Propylon betrat man nun die nordöstliche Forumsportikus, an deren Ende sich der alte Zugang zum Vorhof des heiligen Bezirkes befand. Fragmente vergoldeter Bronzen sind sowohl vom Forum als auch aus dem Bereich des Altares bekannt. Wie man sich letzteren möglicherweise vorzustellen hat, verdeutlichen Münzreverse der augusteischen Zeit, die einen potentiell vergleichbaren Monumentalaltar aus Lyon / Lugdunum (Dép. Rhône; Rhône-Alpes) / F zeigen. Die Münzlegende "ROM(ae) ET AVG(usto)" unterstreicht dabei den Zusammenhang entsprechender Einrichtungen mit dem Kaiserkult. Die Opferhandlungen an der Ara bekräftigten die Loyalität des alljährlich in Lyon tagenden Provinziallandtages der gallischen Stämme zum Kaiserhaus. Als ein vergleichbares Kult- und Tagungszentrum für die germanischen Stämme war, im Hinblick auf eine territorial maßgeblich im rechtrheinischen Gebiet geplante Provinz Germania, in augusteischer Zeit wohl auch die leider nur literarisch und epigraphisch sicher überlieferte "Ara Ubiorum" in Köln (Stadt Köln; Nordrhein-Westfalen) / D angelegt worden. Es ist somit durchaus plausibel anzunehmen, daß analog dazu der große heilige Bezirk in Kempten als Tagungsstätte des rätischen Provinziallandtages konzipiert war. Neuere Forschungsmeinungen, die auf Grund seiner großzügigen Stadtanlage und monumentalen Architektur in Cambodunum die anfängliche Hauptstadt der Provinz Raetia vermuten, unterstützten diese Überlegung eines zentralen Versammlungortes in Kempten.

Während immerhin die riesige Freifläche um den Kemptener Altar herum eine große Menschenmenge aufnehmen konnte, ist es auffällig, daß architektonisch geplante Verbindungen bzw. Bauachsen zwischen Heiligtümern und öffentlichen Versammlungsbauten in Form von szenischen Theatern oder Amphitheatern in Raetien bislang zu fehlen scheinen. Im Gegensatz zu Obergermanien und Gallien, wo die zahlreichen Kulttheater, die in unmittelbarer Nachbarschaft der Heiligtümer lagen oder auch direkt an sie angeschlossen waren, offenbar von lokalen Stämmen bzw. Teilstämmen (Pagi) als Tagungsgebäude genutzt wurden, muß man in der vorliegenden Provinz somit von anderen Versammlungsgewohnheiten ausgehen. Durchaus vorstellbar wären u.a. etwa Zusammenkünfte an den oben bereits behandelten architekturlosen rätischen Brandopferplätzen.

Zwischen Heiligtümern letzter Art und den Podiumtempeln mediterraner Herkunft klafft ein architektonischer Abstand, der vor allem von den sogenannten gallo-römischen Umgangstempeln und kleineren Kapellenbauten (Aediculae) wenigstens etwas ausgefüllt wird.

Bei den weit verbreiteten, in Reatien aber nicht übermäßig stark vertretenen gallo-römischen Umgangstempeln handelt es sich um eine Gebäudeform, die wohl zumindest zum Teil in der keltisch-gallischen Holzarchitektur wurzelt. Letzteres lassen u.a. bereits Pfostenbauten mit möglichem Umgang in spätlatènezeitlichen Viereckschanzen vermuten. Dennoch gelangte dieser spezielle Tempeltyp offenbar erst unter römischem Einfluß im Verlauf der frühen Kaiserzeit zu seiner vollen Entfaltung. Das Hauptmerkmal stellt seine im Verhältnis zu ihrer Grundfläche recht hohe Cella dar, deren Dachansatz in der Regel deutlich über dem Pultdach eines sie vollständig umgebenden Umgangs lag. Letzterer konnte sowohl als offene Portikus als auch als Korridor mit geschlossenen Wänden gestaltet sein.

Die Grundfläche der Bauten ist überwiegend quadratisch bis rechteckig, doch sind auch vieleckige und runde Grundrisse bekannt. In Raetien herrschen abgesehen von einem runden Vertreter, der an einer markanten Felskante unweit der Nordostecke des Auxiliarkastells von Pfünz (Kr. Eichstätt; Bayern) / D lag, die rechteckig-quadratischen Formen vor. Die Gebäude entsprechen zudem bislang durchweg der "normalen" Bauvariante. Hinweise auf die im gallischen Raum und den germanischen Provinzen gelegentlich zu beobachtende sogenannte "klassizisierte" Bauform, bei der der Tempel in stärkerer Anlehnung an mediterrane Heiligtümer häufig auf einem niedrigen Podium errichtet und mit einer architektonisch abgesetzten Vorhalle (Pronaos) ausgestattet war, liegen derzeit nicht vor. Gallo-römische Umgangstempel sind in Raetien sowohl als Einzelgebäude, allenfalls begleitet durch kleinere Kapellenbauten, als auch in Gebäudegruppen innerhalb umfriedeter Tempelbezirke nachgewiesen. In größeren Siedlungen wie Bregenz oder Kempten sind gallo-römischen Heiligtümer tendenziell eher im Randbereich des Ortskerns angesiedelt.

Wo das Gelände es zuläßt, bevorzugen sie etwas exponiertere Plätze, so in Bregenz die Hangkante des Siedlungsplateaus oder in Kempten einen rund 30 m hohen Sporn über dem Tal der Iller. Auch in Regensburg-Ziegetsdorf (Stadt Regensburg; Bayern) / D war ein dem Gott Mercur geweihtes Heiligtum auf dem Ziegetsberg unmittelbar an der Straße nach Augsburg so angelegt, daß der Reisende von ihm aus den ersten bzw. letzten Blick auf das Legionslager und die Canabae von Reginum werfen konnte. Wenngleich die Heiligtümer in Raetien in der Regel keine sehr weit zurückreichende Baugeschichte besitzen, zeigen z.B. Grabungen im gallo-römischen Tempelbezirk von Kempten, daß den steinernen Tempeln zum Teil einfachere, hölzerne Rechteckbauten in Pfostenbauweise oder auf Schwellbalken vorausgingen. Wie auch vergleichbare Befunde in der mehrere Kultbauten beherbergenden Straßenstation/Villa rustica auf der Flur "Steinige Braike" in Sontheim an der Brenz (Kr. Heidenheim; Baden-Württemberg) / D nahelegen, scheint der Ausbau der Gebäude zum Umgangstempel häufig erst zu Beginn oder im weiteren Verlauf der Steinbauphase bzw. der zumindest steinfundamentierten Phase erfolgt zu sein.

An genanntem Ort stand im Bereich des späteren Umgangstempel (N2) zunächst ein wohl frühestens um etwa 100 n.Chr. errichteter Vierpfostenbau (V), dem ein quadratischer Fachwerkbau (N1) auf einem Sockelmauerwerk nachfolgte. Noch im Verlauf der 1. Hälfte des 2. Jh. wurde er dann durch einen in seiner Ausrichtung identischen steinernen Umgangstempel ersetzt, der eine nur unwesentlich größere Grundfläche beanspruchte. Neben mehrfarbigen Putzresten von der Innenausstattung deuten Partien erhaltenen Mauerwerks mit Fugenstrich möglicherweise auf einen geschlossenen Umgang hin. Der Umgangstempel existierte nur bis ins mittlere 2. Jh. n.Chr., wo er bereits einem rechteckigen Steinbau (I1) weichen mußte, der nach einer Brandkatastrophe um 180 n.Chr. in vergrößerter Form neu errichtet wurde. Darüber, ob es sich bei diesen Nachfolgebauten auch noch um Tempel handelte oder die Kultfunktion auf ein anderes Heiligtum vor Ort übertragen wurde, lassen sich nur Vermutungen anstellen. Insgesamt konnten auf dem ummauerten Villen-/Stationsareal sechs bis acht Kultbauten unterschiedlicher Zeitstellung festgestellt werden. Die ungewöhnlich hohe Anzahl unterstreicht den öffentlichen Charakter der Anlage, der man neben dem landwirtschaftlichen Part und der Funktion als Straßenstation wohl auch eine Nutzung als regionaler Kultbezirk zuweisen kann. Zu diesem gehören außer zwei gallorömischen Umgangstempel (Bau C und N) und einem Raum mit Apsis (Bau E), der nachträglich in den Umgang des Tempels C eingefügt wurde, zumindest zwei rechteckig bis trapezoid ummauerte Areale (H und J), in denen eine möglich Kultbildbasis (in H) und Aediculen standen, zwei eventuell offene Hallenbauten (B und Q) sowie ein potentieller Antentempel. Darüber, wie das gemischte Nebeneinander von Heiligtümern und Funktionsbauten des Straßenstations- und Landwirtschaftsbetriebes in Sontheim organisiert war, kann man nur spekulieren. In seiner Zusammenstellung entspricht das Kultbauensemble im wesentlichen jenen, die man auch aus geschlossenen gallo-römischen Kultbezirken kennt.

Als bislang besterforschter raetischer Bezirk dieser Art kann der bereits erwähnte aus Kempten gelten. Er wurde schon spätestens in der Regierungszeit des Tiberius angelegt. Der schrittweise Wandel von der Holzarchitektur zu Steinbebauung begann hier offenbar erst in flavischer Zeit und war spätestens um die Mitte des 2. Jh. n.Chr. weitgehend abgeschlossen. Zum Gebäudebestand der Steinbauphase gehörte eine u-förmige Doppelportikus, die den zur nördlich gelegenen Hangkante offenen Bezirk an den anderen drei Seiten begrenzte. Innerhalb des Areals standen mindestens 12 Bauten, darunter ein großer Umgangstempel (Bau 4), ein großer rechteckiger Kultbau (Bau 3) mit in jüngerer Zeit angesetzter Apsis, wenigstens 7 Kapellengebäude (Bau 2, 6, 8, 9, 11, 12 und 18), die als Antentempelchen oder einfache Prostyloi ausgeführt waren, zwei eventuell nur überdachte Podien (Bau 13 und 20), eine kleine, bildstockartige Aedicula (Bau 16), ein mögliches Podest für Weihegaben (Bau 10), ein runder Brandopferaltar (Bau 7) mit zentraler Grube und ein möglicher Sockel eines größeren Weihedenkmals (Bau 1), wie z.B. einer Iupitersäule.

Die im vorliegenden Fall so zahlreich vertreten Kapellengebäude bilden die einfachste und kleinsten Tempelform. Diese kommt allerdings nicht nur als Begleitbau zu größeren Heiligtümern vor, sondern ist häufig auch als Einzelbau belegt. Neben einer Verwendung bei Gräberfelder oder als Wegeheiligtum, stellt sie eine auch im Bereich privater Religionsausübung, wie z.B. auf den Arealen von Villae rusticae, gelegentlich anzutreffende Form des Kultgebäudes dar.

Als ein Beispiel sei hier etwa ein kleiner rechteckiger Steinbau mit Ziegeldach und Ziegelplattenboden genannt, der rund 60 m außerhalb der nördlichen Hofeinfriedung einer großen Villa rustica in Meßkirch (Kr. Sigmaringen; Baden-Württemberg) / D entdeckt wurde. Ein in seinem Trümmerschutt gefundener Altar enthält eine Weiheinschrift für Diana. Die Lage des Tempelchens spricht einerseits zweifelsfrei für eine primäre Zugehörigkeit zum Gutshof, andererseits jedoch auch für die Möglichkeit, daß das Heiligtum vielleicht ebenso von der Bevölkerung des Umlands mit genutzt wurde. Heiligtümer mit einem vermutlich vergleichbaren halböffentlichen Charakter sind jedoch nicht nur im privaten sondern auch im militärischen Umfeld anzutreffen. Als ein solches kann wahrscheinlich ein kleiner Kultbezirk auf dem Weinberg bei Eining (Stadt Neustadt a.d. Donau; Kr. Kehlheim; Bayern) / D gelten.

Das kleine Tempelchen mit zwei dem Eingang vorgesetzten Säulen besaß eine 3,5 x 4,3 m große Cella, deren podiumartig erhöhten Boden man über einige Stufen erreichen konnte. In ihrem Innern beherbergte sie Kultbilder des Mars und der Victoria. Die Rückwand des Baues war in die niedrige südliche Begrenzungsmauer eines annähernd quadratischen Temenos von nur 8,2 x 8,05 m eingebunden, dessen nördlicher Zugang direkt gegenüber dem Cellaeingang lag. Unmittelbar vis-à-vis desselben gelangte man außerhalb des Temenos zur Tür eines in der Bauflucht eindeutig auf das Heiligtum bezogenen Gebäudes. Dessen Innengliederung mit je drei Räumen zu beiden Seiten eines zentralen Ganges läßt an eine militärische Unterkunft denken. Direkt neben ihm erhob sich dem erhaltenen Grundriß zufolge möglicherweise ein steinerner Wachturm, über den der Signalkontakt zwischen dem Anfangspunkt der donauabwärts beginnenden raetischen Landlimeslinie, dem Donaulines und dem Auxiliarkastell von Eining/Abusina aufrechterhalten wurde. Den Befunden nach scheint der Turm schon einige Zeit existiert zu haben, ehe Unterkunftshaus und Heiligtum als festes Bauensemble errichtet wurden. Ob das Wohngebäude nur die Wachmannschaften des Turmes oder auch Soldaten beherbergte, die den Tempel als Pilger aufsuchten, ist ebenso unklar, wie der letztendliche Anlaß seiner bauinschriftlich gesicherten Errichtung im Jahre 226 oder 229 n.Chr. Noch eine Baustufe unterhalb solcher kleiner Tempelchen stehen schließlich Weihemonumente, -altäre und -steine, die von privaten oder öffentlichen Stiftern und Stiftergemeinschaften meist im Umfeld eines Tempelbaus aufgestellt wurden. Augenfällig ist dabei vor allem, daß die im südlichen Niedergermanien, der Gallia Belgica und dem nördlichen Obergermanien stark verbreiteten Iupitersäulen in Ratien sowohl auf öffentlichem wie privatem Grund fast völlig fehlen.

Bei diesen stets dem Iupiter Optimus Maximus geweihten Denkmälern handelt es sich um eine Säule mit in der Regel korinthischem Kapitell, deren meist mit Schuppen- und/oder Floral- oder auch Figuraldekor verzierter Schaft sich über einem überwiegend vierseitig mit Götterreliefs geschmückten Sockelstein erhebt. Gelegentlich ist diesem sogenannten "Viergötterstein" und der Säule noch ein Zwischensockel mit den Darstellungen der Wochengötter (sogn. "Wochengötterstein") zwischengeschaltet. Gekrönt wird das Monument durch eine thronende oder stehende Iupiterfigur bzw. eine Figurengruppe, bei der der Gott neben seiner Gemahlin Iuno sitzt oder aber als Wagenlenker oder gepanzerter Kavallerist einen Giganten niederfährt/-reitet. Innerhalb des Hauptverbreitungsgebietes solcher Monumente, d.h. im nordöstlichen Gallien und den germanischen Provinzen, lassen sich bezüglich deren Ausführung regionale Gestaltungsvorlieben erkennen. Die wenigen bislang bekannten Teile entsprechender Säulen in Raetien deuten dabei auf Einflüsse aus dem nördlichen Obergermanien hin. Von wenigen Ausnahmen wie Regensburg und die Provinzhauptstadt Augsburg abgesehen, scheinen sich die Funde dann auch ausschließlich im raetischen Limesgebiet zu konzentrieren. Dabei handelt es sich um Fragmente von Weihealtären, von denen jeweils einer dem eigentlichen Säulenmonument zugeordnet war, einige Viergöttersteine, Reste von geschuppten bzw. floral verzierten Säulen und Bruchstücke von Figuralkapitellen.

Bei letztern ist jedoch auch eine Verwendung im Spitzenbereich der Schuppendächer donauländisch-raetisch Pfeilergrabmäler nicht immer auszuschließen. Überbleibsel der charakteristischen Krönungsfiguren sind bis auf vereinzelte, teils unsichere Stücke in Rätien bislang kaum vorhanden. Entsprechend sticht der Vicus des Auxiliarkastells von Weißenburg i. Bay. (Kr. Weißenburg-Gunzenhausen; Bayern) / D hervor, aus dem sogar gleich drei Fragmente von Jupiter-Giganten-Reitern stammen. Sowohl die Auswahl gerade dieses Bildtyps als auch das einer der Figuren als Attribut beigefügt Sonnen- oder Donnerrad unterstreicht einmal mehr die Verbindung der rätischen Iupitersäulen zu denen der Nachbarprovinz Germania superior.

Christian Miks

 

Literaturliste


Überblickswerke:

Altjohann 1995 M. Altjohann, Bemerkungen zum Ursprung des gallo-römischen Umgangstempels. In: W. Czysz / C.-M. Hüssen / H.-P. Kuhnen / C. S. Sommer / G. Weber, Provinzialrömische Forschungen. Festschrift für Günter Ulbert zum 65. Geburtstag. Veröffentlichung des Archäologischen Forschungszentrums Ingolstadt (Espelkamp 1995) 169ff.

Altjohann 1995 M. Altjohann, Gallo-römische Umgangstempel und Bauten in Viereckschanzen. In: G. Wieland (Hrsg.), keltische Viereckschanzen. Einem Rätsel auf der Spur (Stuttgart 1999) 105ff.

Bellot u.a. 1985 J. Bellot / W. Czysz / G. Krahe (Hrsg.), Forschungen zur Provinzialrömischen Archäologie in Bayerisch-Schwaben. Schwäbische Geschichtsquellen und Forschungen 14 (Augsburg 1985).

Czysz u.a. 1995 W. Czysz / K. Dietz / Th. Fischer / H.-J. Kellner, Die Römer in Bayern (Stuttgart 1995).

Dietz u.a. 1985 K. Dietz / G. Weber, Diis Deabusque omnibus – allen Göttern und Göttinnen. In: Katalog Augsburg 1985, 213ff.

Gschlössl 2006 R. Gschlössl, Im Schmelztiegel der Religionen. Göttertausch bei Kelten, Römern und Germanen. Zaberns Bildbände zur Archäologie (Mainz 2006).

Horne u.a. 1980 P. D. Horne / A. C. King, Romano-Celtic Temples in Continental Europe: A Gazetteer of those with Known Plans. In: W. Rodwell (Hrsg.), Temples, Churches and Religion: Recent Research in Roman Britain with a Gazetteer of Romano-Celtic Temples in Continental Europe. BAR British Series 77 (Oxford 1980) 369ff.

Katalog Bregenz 1985 Vorarlberger Landesmuseum (Hrsg.), Das roemische Brigantium. Ausstellungskatalog Bregenz (Bregenz 1985).

Katalog Augsburg 1985 Die Römer in Schwaben. Jubiläumsausstellung 2000 Jahre Augsburg. Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege 27 (München 1985).

Krämer 1966 W. Krämer, Prähistorische Brandopferplätze. In: R. Degen / W. Drack / R. Wyss, Helvetia antiqua [Festschrift E. Vogt] (Zürich 1966) 111ff.

Maier 1985 R. A. Maier, Römerzeitliche Brandopferplätze – Zeugnisse alpenrätischer Volksreligion. In: Katalog Augsburg 1985, 219ff.

Weber 1985 G. Weber, Jupitersäulen in Rätien. In: Bellot u.a. 1985, 269ff.

Weiss 1997 R.-M. Weiss, Prähistorische Brandopferplätze in Bayern. Internationale Archäologie 35 (Espelkamp 1997).

Zanier 2004 W. Zanier, Gedanken zur Besiedelung der Spätlatène- und frühen römischen Kaiserzeit zwischen Alpenrand und Donau. In: Hüssen u.a. 2004 C.-M. Hüssen / W. Irlinger / W. Zanier (Hrsg.), Spätlatènezeit und frühe römische Kaiserzeit zwischen Alpenrand und Donau. Akten des Kolloquiums in Ingolstadt am 11. und 12. Oktober 2001. Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte 8 (Bonn 2004) 237ff.

Zemmer-Plank 2002 L. Zemmer-Plank (Hrsg.), Kult der Vorzeit in den Alpen. Opfergaben – Opferplätze – Opferbrauchtum (Bolzano-Bozen 2002).

 

Augsburg (Stadt Augsburg; Bayern) / D; Iupitersäulen:

Bakker 1984 L. Bakker, Neue Inschriftenfunde aus Augusta Vindelicum-Augsburg. Arch. Jahr Bayern 1984, 110f.

Weber 1985 G. Weber, Jupitersäulen in Rätien. In: Bellot u.a. 1985, 269ff. Nr. F12,1-2.

 

Aalen-Unterkochen (Kr. Aalen; Baden-Württemberg) / D; mögliches Teil einer Iupitersäule:

Haug u.a. 1914 F. Haug / G. Sixt, Die römischen Inschriften und Bildwerke Württembergs 2(Stuttgart 1914) 123f. Nr. 59.

Weber 1985 G. Weber, Jupitersäulen in Rätien. In: Bellot u.a. 1985, 273f. Nr. F13,4.

 

Bregenz (Stadt Bregenz; Vorarlberg) / A; Forumtempel, Capitol und gallo-römischer Tempelbezirk:

Jenny 1889 S. Jenny, Bauliche Ueberreste von Brigantium: I. Das Forum. Jahresber. Vorarlberger Mus.-Ver. 28, 1889, 9ff.

Jenny 1893 S. Jenny, Bauliche Ueberreste von Brigantium: IV. Tempelanlage. Jahresber. Vorarlberger Mus.-Ver. 32, 1893, 9ff.

Jenny 1898 S. Jenny, Bauliche Ueberreste von Brigantium. Mitt. K. K. Central-Comm. Baudenkmale 24, 1898, 78ff.

Kandler 1992 M. Kandler, Bilddokumente zum Forum von Brigantium. In: Vorarlberger Landesmuseum (Hrsg.), Archäologie in Gebirgen [Festschrift E. Vonbank]. Schriften des Vorarlberger Landesmuseums - Reihe A 5 (Bregenz 1992) 131ff.

 

Eining (Stadt Neustadt a.d. Donau; Kr. Kelheim; Bayern) / D; Tempelbezirk Weinberg:

Fischer u.a. 1984 Th. Fischer / K. Spindler, Das römische Grenzkastell Abusina-Eining. Führer zu ärchäologischen Denkmälern in Bayern – Niederbayern 1 (Stuttgart 1984) 58ff.

Reinecke 1927 P. Reinecke, Römische und frühmittelalterliche Denkmäler vom Weinberg bei Eining a.d. Donau. In: Festschrift zur Feier des fünfundsiebzigjährigen Bestehens des Römisch-Germanischen Central-Museums zu Mainz (Mainz 1927) 157ff.

 

Kempten (Stadt Kempten; Bayern) / D; Forumtempel, Altarbezirk und gallo-römischer Tempelbezirk:

Führer Kempten 1998 Kulturamt der Stadt Kempten (Hrsg.), APC – Archäologischer Park Cambodunum. 1. Abschnitt: Der Gallorömische Tempelbezirk 4(Kempten 1998).

Kleiss 1962 W. Kleiss, Die öffentlichen Bauten von Cambodunum. Baubeschreibung und Rekonstruktion. Materialhefte zur Bayerischen Vorgeschichte 18 (Kallmünz / Opf. 1962).

Weber 1985a G. Weber, Der gallorömische Tempelbezirk von Kempten. In: Katalog Augsburg 1985, 226ff.

Weber 1985b G. Weber, Der große heilige Bezirk in Kempten – Provinziallandtage in Raetien. In: Katalog Augsburg 1985, 230ff.

Weber 2000 G. Weber (Hrsg.), Cambodunum-Kempten. Erste Hauptstadt der römischen Provinz Raetien? Zaberns Bildbände zur Archäologie (Mainz 2000).

Weber 2000a G. Weber, Das Forum der Römerstadt Kempten-Cambodunum im Allgäu. In: L. Wamser (Hrsg.), Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Zivilisatorisches Erbe einer europäischen Militärmacht. Ausstellungskatalog Rosenheim. Schriftenreihe der Archäologischen Staatssammlung 1 (Mainz 2000) 95ff.

 

Lauingen-Faimingen (Kr. Dillingen a.d. Donau; Bayern) / D; Podiumtempel:

Eingartner 1985 J. Eingartner, Das Heiligtum des Apollo Grannus und der Vicus von Faimingen im Lichte neuerer Ausgrabungen. In: Bellot u.a. 1985, 257ff.

Eingartner 1985a J. Eingartner, Phoebiana – Römerstadt und Apollo Grannus-Heiligtum in Faimingen. In: Katalog Augsburg 1985, 223ff.

Eingartner u.a. 1993 J. Eingartner / P. Eschbaumer / G. Weber, Faimingen-Phoebiana I: Der römische Tempelbezirk in Faimingen-Phoebiana. Limesforschungen 24 (Mainz 1993).

 

Meßkirch (Kr. Sigmaringen; Baden-Württemberg) / D; Heiligtum bei Villa rustica:

Naeher 1882 J. Näher, Die Ausgrabung der römischen Niederlassung genannt die Altstatt bei Meßkirch. Bonner Jahrb. 74, 1882, 55f.

Filtzinger u.a. 1986 P. Filtzinger / D. Planck / B. Cämmerer (Hrsg.), Die Römer in Baden-Württemberg 3(Stuttgart 1986) 442ff.

Planck 2005 D. Planck (Hrsg.), Die Römer in Baden-Württemberg. Römerstätten und Museen von Aalen bis Zwiefalten (Stuttgart 2005) 210f.

 

Oberammergau (Kr. Garmisch-Partenkirchen) / D; Opfer-/Kampfplatz auf dem Döttenbichel:

Zanier 1994 W. Zanier, Eine Oberammergauer Passion im Jahre 15 v. Chr.? Arch. Jahr Bayern 1994, 97ff.

Zanier 2002a W. Zanier, Opferplätze im oberen Ammertal aus der Spätlatène- und frühen römischen Kaiserzeit. In: Zemmer-Plank 2002, 841ff.

 

Pfünz (Kr. Eichstätt; Bayern) / D; Rundtempel:

Koethe 1933 H. Koethe, Die keltischen Rund- und Vielecktempel der Kaiserzeit. Ber. RGK 23, 1933, 84f.

Winkelmann 1901 Fr. Winkelmann, Das Kastell Pfünz. In: ORL Abt. B Nr. 73 (1901) 10f.

 

Regensburg-Ziegetsdorf (Stadt Regensburg; Bayern) / D; Tempelbezirk:

Steinmetz 1935 G. Steinmetz, Vom Merkurtempel auf dem Ziegetsdorfer Berg. I. Bericht. Verhand. Hist. Ver. Oberpfalz 85, 347ff.

Steinmetz 1935 G. Steinmetz, Vom Merkurtempel auf dem Ziegetsdorfer Berg. II. Bericht. Verhand. Hist. Ver. Oberpfalz 86, 434ff.

Steinmetz 1937 G. Steinmetz, Fundnachrichten – Ulrichsmuseum Regensburg. Bayer. Vorgeschbl. 14, 1937, 102ff.

Dietz u.a. 1979 K. Dietz / U. Osterhaus / S. Rieckhoff-Pauli / K. Spindler, Regensburg zur Römerzeit 2(Regensburg 1979) 265ff.

Dietz u.a. 1996 K. Dietz / Th. Fischer, Die Römer in Regensburg (Regensburg 1996) 144ff.

 

Schwangau (Kr. Ostallgäu; Bayern) / D; Brandopferplatz im Forggensee:

Maier 1985a R. A. Maier, Ein römerzeitlicher Brandopferplatz bei Schwangau und andere Zeugnisse einheimischer Religion in der Provinz Rätien. In: Bellot u.a. 1985, 231ff.

Zanier 1999 W. Zanier, Der spätlatène- und römerzeitliche Brandopferplatz im Forggensee (Gde. Schwangau). Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 52 (München 1999).

Zanier 2002 W. Zanier, Spätlatène-/römerzeitlicher Brandopferplatz im Forggensee, Gemeinde Schwangau. In: Zemmer-Plank 2002, 833ff.

 

Sontheim a.d. Brenz (Kr. Heidenheim; Baden-Württemberg) / D; Villa rustica/Staßenstation mit Heiligtümern:

Nuber 1982 H. U. Nuber, Römische Sanktuarien in Sontheim/Brenz, Kreis Heidenheim. Arch. Ausgr. Baden-Württemberg 1982, 124ff.

Nuber u.a. 1986 H. U. Nuber / G. Seitz, Ausgrabungen in Sontheim/Brenz, Kreis Heidenheim. Arch. Ausgr. Baden-Württemberg 1986, 170ff.

Planck 2005 D. Planck (Hrsg.), Die Römer in Baden-Württemberg. Römerstätten und Museen von Aalen bis Zwiefalten (Stuttgart 2005) 321ff.

Seitz 2005 G. Seitz, Tempel und Heiligtümer. Geben und Nehmen als religiöses Prinzip. In: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg (Hrsg.), Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau. Begleitband zur Ausstellung des Landes Baden-Württemberg im Kunstgebäude Stuttgart (Stuttgart 2005) 209.

 

Weißenburg (Kr. Weißenburg-Gunzenhausen; Bayern) / D; Iupitersäulen:

Dinkelmeier u.a. 1987 M. Dinkelmeier / M. Erdrich / M. Klein, Ausgrabungen im römischen Kastellvicus von Weißenburg i. Bay. Arch. Jahr Bayern 1987, 114ff.

Fabricius 1906 E. Fabricius, Das Kastell Weissenburg. In: ORL Abt. B Nr. 72 (1906) 47 Nr. 19 Taf. 13,8.

Weber 1985 G. Weber, Jupitersäulen in Rätien. In: Bellot u.a. 1985, 275 Nr. F14,1 Abb. 6.